Wer trägt die Schuld an einem Arbeitsunfall?
Lasst uns das "Suche nach dem Schuldigen” Spiel spielen.
Die Story
Harry Müller, ein langjähriger Arbeiter bei Sto.IC Industries, wechselte gerade ein Messer in einer Schneidemaschine aus - eine Arbeit, die er schon oft gemacht hat. Während er die neue Klinge einsetzte, bemerkte er seinen Kollegen Jack, der scheinbar benommen auf ihn zuging. Jack achtete nicht darauf, wohin er ging, stolperte über ein Kabel auf dem Boden und stiess mit Harry zusammen.
Harrys Hände rutschten an der Klinge entlang und schnitten tief in die Handflächen.
Harry wurde ins Krankenhaus gebracht, da er einen Nervenschaden hatte, der operiert werden musste.
Harry trug keine Handschuhe. Als er gefragt wurde, warum, sagte er, dass keine Handschuhe in der Nähe waren und dass die Handschuhe, die sie hatten, klobig waren und ihn bei seiner Arbeit behinderten. Dann gab er zu, dass er nie Handschuhe trägt, weil er diesen Job schon lange macht und noch nie einen Unfall hatte.
Harry wurde für mehrere Wochen von der Arbeit krankgeschrieben, und das Unternehmen musste einen Ersatz für ihn finden. Tragischerweise war Harry auch ein leidenschaftlicher Gitarrist und spielte regelmässig mit seiner Rock-Klassik-Coverband. Die Verletzung bedeutet, dass er nicht mehr spielen kann.
Wer hat also die Schuld daran?
Ist es Harry Müller - der Arbeiter, der nicht die richtige PSA getragen hat?
Ist es Jack - der Kollege, der nicht darauf geachtet hat, wo er hingeht?
Ist es der Sicherheitsbeauftragte, der nicht dafür gesorgt hat, dass Handschuhe zur Verfügung stehen, und der nicht überprüft hat, ob die Arbeiter sicher arbeiten?
Ist es der Einkäufer der Handschuhe, der nicht die bequemsten Handschuhe für die Arbeit gekauft hat?
Ist es die Personalabteilung, die keine Sicherheitsschulungen für die Arbeitnehmer/innen organisiert hat?
Oder ist es der Geschäftsführer, der nicht weiss, was in der Produktion passiert, und nicht bereit ist, in ein Programm zur Förderung der Sicherheitskultur zu investieren?
Werfen wir einen Blick auf das Schweizer Gesetz:
Laut UVG Art. 82: Der Arbeitgeber ist vom Gesetz wegen verpflichtet, zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle erforderlichen Massnahmen zu treffen.
PSA kommen erst zum Einsatz, wenn die Unfall- und Gesundheitsgefahren nicht durch Ersatzmassnahmen (Substitution), Schutzeinrichtungen oder arbeitsorganisatorische Massnahmen vermieden oder ausreichend begrenzt werden können
(VUV, Art. 5 ).Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die PSA jederzeit bestimmungsgemäss verwendet wird. (VUV, Art. 5).
Der Arbeitnehmer ist seinerseits verpflichtet, die ihm zur Verfügung gestellten PSA zu benützen und ihre Wirksamkeit nicht zu beeinträchtigen (VUV, Art. 11).
PSA wird oft als "lästiger Kostenfaktor" angesehen. Sie muss gekauft werden und bringt keinen Umsatz. Sie wird auch oft als C-Teil behandelt.
Einkäufer haben die Aufgabe, Geld zu sparen - und eine traurige Tatsache ist, dass bei Handschuhen oder anderer PSA oft Geld gespart wird. Billigere Handschuhe können von schlechterer Qualität sein. Sie reissen leichter und sind vielleicht nicht so bequem.
PSA ist oft der letzte Ausweg. Sie ist die am wenigsten wirksame Schutzmethode gegen ein Risiko - aber PSA muss getragen werden, wenn keine anderen Massnahmen ergriffen wurden - und PSA ist nur wirksam, wenn sie richtig getragen wird.
Wenn du als Unternehmen nicht in die richtige PSA oder die richtige Ausbildung investierst, sendest du die Aussage "Unsere Arbeitnehmer sind uns egal" - und das steht im direkten Widerspruch zu vielen Leitbildern, die ich im Internet lese.
Wer trägt also die Schuld daran? Ich würde gerne eure Meinung dazu hören.